Aaaawwwww, ein Hingucker! Auf Instagram ist #cute mit mehr als 591 Millionen Einträgen einer der häufigsten Hashtags. Tiere, Mangas, Spielzeug - Niedlichkeit soll Nahbarkeit vermitteln und Konsum ankurbeln, die Härten des Alltags mildern. Und Niedliches lockt. Das ist ähnlich wie Zuckerwatte. So angenehm wie das Belohnungsgefühl auf der Zunge, so tröstlich ist der Anblick von spielenden Kätzchen in der Timeline.
Doch irgendwann ist jeder übersättigt von Süßwaren, dann kippt die Befriedigung in Ekel. Auch was für den einen noch niedlich aussieht, wirkt für den anderen schon grotesk oder unheimlich. Wie diese Mechanismen funktionieren, zeigt nun die Ausstellung "#cute. Inseln der Glückseligkeit" im NRW-Forum Düsseldorf. Es geht dort zuckrig zu, voller fluffiger Kätzchen, drolliger Babys und Plüschtiere. Man sieht Froschhände, fotografiert von Jürgen Teller, schleimig zwar, aber doch niedlich. Auch Alltags- und Spielzeugdesign ist dabei: Es gibt animierte Disco-Einhörner, Pokémons und VR-Spiele mit bunten Trollen.
Von süß zu gruselig
Viel reizvoller aber ist der Bruch mit der Niedlichkeit. Sogar das vermeintlich Abstoßende findet so seinen Platz in der Pop-Ästhetik des Süßen. Filmfigur E.T. ist etwa hässlich und niedlich zugleich. Die mittlerweile verstorbene Netzberühmtheit Grumpy Cat sah grundsätzlich mürrisch aus. Und Popstar Billie Eilish mutiert im Anime-Video zu "You should see me in a Crown" des Künstlers Takashi Murakami von einer süßen Manga-Figur zur Riesenspinne.
In rosa-plüschigem Kitsch steckt noch mehr Ambivalenz. In "#cute" wird in der verfremdeten Animation "Call of Cuteness" von Brenda Lien innerhalb von vier Minuten klar, wie schnell cute zu creepy umschlagen kann. Liens Bilderstrom basiert auf Fundstücken mit Katzen aus dem Internet. Mit jeder Minute wird der Film brutaler. Die Kätzchen werden gejagt, fixiert, aufgeschlitzt, Panzer rollen durchs Bild.
Auch Künstler Falk mag es eklig. Er greift in Collagen Schlüsselmerkmale des Niedlichen auf: Weibliches, Kindliches und Tierliches in Rosa und Weiß. Erst auf den zweiten Blick wird deutlich, dass seine Bilder auch Eingeweide zeigen.
Aufgeschlitzte Kätzchen, Hundeblick über Darmschlingen: Das ist abstoßend, aber hier beginnt der Gewinn von "Cute", einer Schau, die zunächst aussieht wie ein Overkill an Flauschigkeit. In den 60 Exponaten aus Kunst, Design und Alltagsgegenständen verdeckt die niedliche Oberfläche nicht selten Perversion und Missbrauch.
"Petfluencer missbrauchen Tiere"
Verniedlichung sei die Erotisierung von Hilflosigkeit, sagt die US-amerikanische Kulturtheoretikerin Sianne Ngai, was oft das Bedürfnis hervorrufe, etwas klein zu machen oder auszulöschen. Die Inszenierung von Haustieren auf Social Media als sogenannte Petfluencer diene der menschlichen Selbstdarstellung, sagt Birgit Richard, Professorin für Neue Medien in Frankfurt: "Das kann auch punktuell als Machtmissbrauch gegenüber einem Lebewesen gedeutet werden."
Richard leitet das auf drei Jahre angelegte Forschungsprojekt "Cuteness in der Gegenwartsästhetik" und ist Kuratorin der Düsseldorfer Ausstellung, zuvor hat sie zu YouTube-Videos geforscht. "Ego-Animals" nennt sie Tiere, deren Behinderungen oder Hilflosigkeit zur Selbstinszenierung ausgenutzt werden.
Verharmloste Waffen
Gar nicht mehr süß ist Verniedlichung, wenn mit ihr Waffen verkauft werden. In ihrer Bildserie "My First Rifle" hat die belgische Fotografin An-Sofie Kesteleyn Kinder in den USA mit der Schusswaffe Cricket porträtiert. Es handelt sich um echte Kleinkaliberwaffen, die rosa oder blau laminiert für Kinder im Grundschulalter verkauft werden. So propagiert die Waffenlobby die Erziehung zur Selbstverteidigung.
Auch politische Akteure machen sich den Niedlich-Reflex zunutze. "Rechtsradikale und Trolle nutzen ein putziges Erscheinungsbild, um eine irreführende Außenwirkung ihrer Ideologie zu erzeugen", schreibt der Kunstpädagoge Niklas von Reischach im Katalog zur Ausstellung. Die Frosch-Figur "Pepe the Frog" werde etwa für rassistische und antisemitische Hetze benutzt. Auch das rechte Netzwerk Reconquista Germany bediene sich kleiner, unschuldiger Comicfiguren.
"Cuteness ist kein alleinstehendes Attribut für sich, sondern immer Teil einer gesamten Erscheinung", sagt Kuratorin Richard, "potenziell kann alles mit einem rosa Schleier überzogen werden". Ihre Ausstellung wirkt wie eine Warnung vor der Niedlichkeit. Denn unter der Zuckerglasur wird’s bitter.
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