Das menschliche Haar ist 50 Mal weicher als Stahl, und doch kann es scharfe Kanten einer Rasierklinge zerstören. Was dabei passiert, haben MIT-Forscher herausgefunden.
Rasiermesser, Skalpelle und Messer werden aus rostfreiem Stahl hergestellt, geschliffen und mit noch härteren Materialien wie diamantähnlichem Kohlenstoff beschichtet. Messer müssen jedoch regelmäßig geschärft werden, während Rasierklingen zu den Wegwerfprodukten zählen.
Ingenieure am Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge haben untersucht, warum ein menschliches Haar, das 50 Mal weicher ist als die Klinge selbst, Stahl beschädigen kann. Sie fanden heraus, dass dabei komplexere Vorgänge ablaufen als bislang angenommen. Es geht nicht nur um die reine Abnutzung, wie zu erwarten wäre. Tatsächlich kann eine einzelne Haarsträhne dazu führen, dass die Schneide einer Klinge absplittert. Sobald sich ein erster Riss bildet, ist die Klinge anfällig für weitere Zerstörungen an dieser Stelle. Weitere Risse entstehen, und die Rasierklingenkante wird schnell stumpf.
Die Klinge ist anfälliger für Absplitterungen, falls die Mikrostruktur des Stahls nicht aus einheitlichem Material besteht. Der Annäherungswinkel der Klinge an eine Haarsträhne und Defekte in der mikroskopischen Struktur des Stahls spielen ebenfalls eine Rolle.
Metallurgische Mysterien
Zum Hintergrund: Schon länger untersucht C. Cem Tasan die Mikrostruktur von Metallen, um neue Materialien mit außergewöhnlicher Widerstandsfähigkeit gegen Schäden zu entwickeln. Er ist Professor für Metallurgie am MIT; hier leitet er das Department of Materials Science and Engineering. „Wir sind Metallurgen und wollen lernen, was die Verformung von Metallen steuert, damit wir bessere Metalle herstellen können“, sagt Tasan.
Um herauszufinden, warum Klingen beim Rasieren von weichen menschlichen Haaren stumpf werden, führte der Forscher zunächst einige Experimente unter Alltagsbedingungen durch. Er verwendete jeden Morgen handelsübliche Einweg-Rasierer. Nach jeder Rasur nahm er mit einem Rasterelektronenmikroskop (REM) Bilder von der Rasierklinge auf, um zu verfolgen, wie sich die Klinge mit der Zeit abnutzt.
Überraschenderweise zeigten die Versuche recht wenig Abnutzung oder Abrundung der scharfen Kante im Laufe der Zeit. Stattdessen bemerkte Tasan, dass sich entlang bestimmter Bereiche der Rasierklingenkante Späne bildeten.
„Dies war für uns ein Rätsel: Wir sahen Absplitterungen, aber nicht überall, sondern nur an bestimmten Stellen“, berichtet der Forscher. „Wir wollten verstehen, unter welchen Bedingungen diese Absplitterungen stattfinden und welche auslösenden Faktoren es gibt.“
Effekte auf mikroskopischer Ebene beobachten
Um diese Frage zu beantworten, entwickelte Gianluca Roscioli, ein Doktorand in Tasans Arbeitsgruppe, einen mikromechanischen Apparat für Rasierexperimente unter kontrollierten Bedingungen. Sein Gerät besteht aus einem beweglichen Tisch mit zwei Klemmen auf jeder Seite, einer zum Halten der Rasierklinge und einer weiteren zum Verankern von Haarsträhnen. Roscioli verwendete Klingen von handelsüblichen Rasiermessern. Er experimentierte mit verschiedenen Winkeln und Schnitttiefen, um verschiedene Situationen beim Rasieren nachzuahmen.
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Die Versuchsapparatur wurde so konstruiert, dass sie in ein Rasterelektronenmikroskop passt. Roscioli fertigte hochauflösende Bilder sowohl von den Haaren als auch von der Klinge an, während er Schnittexperimente durchführte. Der Ingenieur benutzte sowohl sein eigenes Haar als auch Haare, die von Laborkollegen stammten, um biologische Unterschiede zu berücksichtigen.
So zerstören Haare die Rasierklinge
Unabhängig von der Dicke eines Haares fand Roscioli den gleichen Mechanismus: Haare führten dazu, dass Teile einer Rasierklinge absplitterten, aber nur an bestimmten Stellen.
Bei der Analyse der REM-Bilder, die Roscioli während seiner Experimente aufgenommen hatte, stellte er fest, dass beim Schneiden der Haare senkrecht zur Klinge keine Absplitterung auftrat. Wenn sich das Haar frei biegen konnte, kam es jedoch mit größerer Wahrscheinlichkeit zur Zerstörung.
Um herauszufinden, unter welchen Bedingungen sich metallische Späne bilden, führte das Team Computersimulationen durch. Sie modellierten eine Stahlklinge, die ein einzelnes Haar durchtrennt. Mehrfach wurden Parameter wie der Schnittwinkel, die Richtung der beim Schneiden ausgeübten Kraft und vor allem die Zusammensetzung des Stahls der Klinge angepasst.
Dabei zeigten sich drei Kriterien mit großer Wahrscheinlichkeit, dass metallische Späne entstehen. Das betraf flache Winkel zwischen Haar und Klinge, metallurgisch heterogene Stahlproben und speziell den Kontakt von Haaren mit lokalen Schwachstellen im Stahl.
Homogener Stahl – langlebigere Klingen
„Unsere Simulationen erklären, wie die Heterogenität in einem Material die Spannung erhöhen kann, sodass ein Riss entsteht und wächst“, so Tasan. Er hat ein Patent für das Verfahren angemeldet, um Stahl in eine homogenere Form zu bringen. Damit könnte man, so die Hoffnung der Ingenieure, langlebigere, beständigere Klingen produzieren.
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August 10, 2020 at 01:51PM
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