Das Schicksal des zu lebenslanger Haft verurteilten türkischen Schriftstellers und Journalisten Ahmet Altan haben Schüler des Gymnasiums Haar in einer Lesung thematisiert. 24 Stunden lang, als Symbol für den monotonen Gefängnisalltag.
- Das Schicksal des türkischen Schriftstellers Ahmet Altan hat Haarer Gymnasiasten sehr bewegt.
- Er wurde zu lebenslanger Haft verurteilt.
- In einer 24-Stunden-Lesung erinnern die Schüler an Altans Schicksal.
Haar - „Die Morgendämmerung zog herauf. Ich wusste, dass sie kommen würden.“Mit diesen Worten beginnt das Gefängnistagebuch von Ahmet Altan. Der türkische Schriftsteller und Journalist ist in seiner Heimat zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit denselben Worten hat nun auch eine 24-Stunden-Lesung begonnen, mit der die Theaterschüler des Haarer Ernst-Mach-Gymnasiums (EMG) mit Schülern aus Hamburg, Bremen, Siegen und Nürnberg auf Altans Schicksal aufmerksam gemacht haben.
Zu lebenslanger Haft verurteilt
Zum Hintergrund: Am 10. September 2016 wurde der regierungskritische Schriftsteller Altan in der Türkei inhaftiert und im Februar 2018 verurteilt. Das Urteil: lebenslänglich. Im Gefängnis schreibt er das Buch „Ich werde die Welt nie wiedersehen“, für das ihm im November vergangenen Jahres in München der Geschwister-Scholl-Preis verliehen wird. Altan ist natürlich nicht anwesend, doch Thomas Ritter, der Leiter der EMG-Theatergruppe und eine seiner Schülerinnen nehmen an der Preisverleihung teil. Sie waren wegen des Projekts „Spurensuche“ da, das sich mit der Euthanasie in Eglfing zur NS-Zeit beschäftigt. Noch während der Preisverleihung reifte die Idee: Altans Texte auf die Bühne zu bringen.
Corona-Krise wirft alle Pläne über den Haufen
Doch dann kam die Corona-Krise und Ritter musste die Arbeit abbrechen. An der Grundidee – auf das Schicksal des inhaftierten Altans aufmerksam zu machen – hielt er aber fest. Und fand eine neue Bühne. „In der 24 Stunden-Online-Lesung haben wir eine neue Form gefunden“, erzählt er. Das politische Thema war den Schülern nicht fremd. Egal ob Unter-, Mittel- oder Oberstufentheater, die Aufführungen des EMG haben schon lange den Status eines „normalen“ Schultheaters hinter sich gelassen. Stücke wie „Mutter Courage“ oder „Effi Briest“ – es gibt keine Tabus vor Ideologiekritik, Rassismus, Ausgrenzung, Tod, Liebe. „Im Zentrum unserer Arbeit stehen kreative Entwicklungsprozesse, die wir in den einzelnen Gruppen gemeinsam angehen. Das kostet Kraft und Nerven, ist aber vielleicht eine der großartigsten Erfahrungen, die man als Schüler machen kann“, so Ritter.
Wieder eine Art „Spurensuche“
Mit Altan gingen er und die Schüler wieder auf eine Art „Spurensuche“. Dieses Mal nicht in die Historie, sondern in die Gegenwart. Altan ist ein Intellektueller, der seine kritische Meinung geäußert hat. Das Urteil, von vielen Beobachtern als politisch motiviert eingestuft, beraubt ihn nun seiner Freiheit.
Und so verabredeten sich die Schüler an einem Freitagabend, jeder saß vor seinem Monitor. Um 19 Uhr ging es los: „Die Morgendämmerung zog herauf. Ich wusste, dass sie kommen würden.“
24 Stunden lang lesen die Schüler immer wieder die selben Sätze
Über 24 Stunden lasen die Schüler abwechselnd immer wieder und wieder Anfang und Schluss des Buchs. Die einen hoch emotional, manche holpriger, bei einer Schülerin saßen zwei Katzen mit am Bildschirm, eine Schülerin malte dazu ein Bild. „Wir haben durch das ständige Wiederholen der immer gleichen Textstelle die Monotonie und Langeweile begrifflich machen wollen“, erklärt Ritter. „So wie es Altan jeden Tag in seiner Gefängniszelle Tag für Tag ergeht, eben langweilig und monoton.“ Hin und wieder durchbrechen kurze Filmsequenzen, die die Schüler entwickelt haben, die Lesung, wie ein Spaziergang im Park bei Regen. Das Publikum an den Schirmen hatte über einen Link Zugang. Im Chatbereich liefen Fragen. Die Zuhörer wollten wissen, wo, wie lange und warum Altan inhaftiert ist.
Schüler und Technik halten durch
Der Kontakt zu den Schülern aus Hamburg, Bremen, Siegen und Nürnberg kam über die „Spurensuche“ zustande, das Stück wurde mittlerweile über 90 Mal in ganz Deutschland aufgeführt. Die Schüler der Theatergruppen blieben in Kontakt. „Wieso nicht auch einige daran nun an diesem Projekt beteiligen?“, fragte sich Ritter. Online ja kein Problem, alles eine Frage der Technik. Die hielt über 24 Stunden stand und auch die Schüler hielten durch. Denn darum ging’s, verrät Ritter: „Ums Durchhalten und Aushalten, eben wie bei Ahmet Altan. Jeden Tag.“
Am Ernst-Mach-Gymnasium in Haar herrscht Raumnot. Eine Erweiterung steht an.
July 29, 2020 at 04:00PM
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Haar: Im Gefängnis, aber nicht allein - Merkur.de
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